In einer Welt im Umbruch, in der zunehmend das Recht des Stärkeren gilt, basiert die Zukunft der europäischen Staaten auf Kooperation und Demokratie. Es ist inzwischen eine Binse, dass die aktuellen (geo-)politischen Herausforderungen von keinem europäischen Staat allein gelöst werden können. Das Leitbild der Vereinigten Staaten von Europa muss daher als unser Nordstern anerkannt werden und die Grundsätze, an denen wir unsere Europapolitik ausrichten, bestimmen.
Dabei setzen wir auf die Wahrung fundamentaler Rechte und Prinzipien, eine starke demokratische Legitimation der europäischen Institutionen sowie den Schutz gemeinsamer Werte.
Dieses Impulspapier definiert die roten Fäden und Linien für die bevorstehenden Verhandlungen über Europapolitik. Sie betreffen die institutionelle Architektur Europas ebenso wie deren soziale, ökologische und rechtsstaatliche Grundlagen. Die SPD International wird die SPD-Fraktion im Bundestag und Europäischem Parlament sowie den Parteivorstand konsequent in die Verantwortung nehmen, um diese Leitlinien zu verteidigen.
1. Institutionelle Grundpfeiler Europas: Keine Kompromisse bei Kernprinzipien
Ein handlungsfähiges und bürgernahes Europa setzt klare institutionelle Regeln voraus, die nicht zur Verhandlungsmasse werden dürfen:
- Personenfreizügigkeit und Schengen-Raum: Die Freizügigkeit innerhalb der EU ist der sichtbarste Kernbestandteil der europäischen Integration. Wir werden nicht zulassen, dass der Schengen-Raum populistischen Bestrebungen geopfert wird. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit widersprechen dem Geist Europas und gefährden die europäische Solidarität.
- Euro als gemeinsame Währung: Der Euro bleibt das Fundament der europäischen Wirtschaft und ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit. Eine Abkehr von der gemeinsamen Währung würde die europäische Integration rückgängig machen und wirtschaftliche Unsicherheit erzeugen. Im Gegenteil muss die Möglichkeit einer echten Finanz- und Fiskalunion geschaffen werden.
- Demokratische Kontrolle des EU-Haushalts: Das Europäische Parlament als direkt gewählte Vertretung der Bürgerinnen und Bürger muss das alleinige Haushaltsrecht über das EU-Budget besitzen. Nur so kann die demokratische Kontrolle der Finanzmittel gewährleistet werden. Versuche, die Budgethoheit zugunsten von Kommission oder Rat zu beschneiden, lehnen wir entschieden ab.
2. Europa als Wertegemeinschaft: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität
Europa ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine Wertegemeinschaft. Ihre Glaubwürdigkeit hängt davon ab, dass diese Werte innerhalb und außerhalb der EU verteidigt werden.
Unsere roten Linien sind daher:
- Menschenrechte: Die Achtung der Menschenrechte ist nicht verhandelbar. Verstöße gegen die Grundrechtecharta der EU müssen konsequent geahndet werden. Das gilt sowohl für Mitgliedstaaten als auch für Drittstaaten, mit denen die EU kooperiert.
- Umweltstandards und Klimaschutz: Der European Green Deal (EGD) ist ein entscheidender Schritt für ein zukunftsfähiges Europa. Seine Ziele dürfen nicht verwässert werden – weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen Gründen. Klimaschutz ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Notwendigkeit. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU ist ohne eine Wende zum nachhaltigen Wirtschaften nicht zu erreichen.
- Rechtsstaatlichkeit und Bürgerbeteiligung: Der Schutz der Rechtsstaatlichkeit und die Stärkung der Bürgerbeteiligung sind unerlässlich. Mitgliedstaaten, die gegen demokratische Grundprinzipien verstoßen, müssen mit finanziellen Sanktionen und rechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Zivilgesellschaft muss aktiv in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden.
- Solidarität als Grundprinzip: Solidarität ist die Grundlage der europäischen Einigung. Dies gilt sowohl für die wirtschaftliche Zusammenarbeit als auch für den Umgang mit sozialen und humanitären Herausforderungen. Die Lasten innerhalb der EU müssen gerecht verteilt werden, insbesondere in Krisenzeiten. Die Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR, European Pillar of Social Rights) muss beibehalten und verwirklicht werden.
3. Konkrete politische Forderungen und Maßnahmen
Um diese Werte in der Praxis zu sichern, setzen wir uns für folgende Maßnahmen ein:
1. Erhalt und Ausbau des European Green Deal:
- Der EGD muss konsequent umgesetzt werden – nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch zur Sicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und Energieunabhängigkeit.
- Die Just Transition muss gewährleisten, dass der ökologische Wandel sozial gerecht gestaltet wird. Die Prinzipien des sozialen Europas – gerechte Löhne, faire Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung – sind dabei nicht verhandelbar.
2. Transparente Gesetzgebung statt Omnibus-Gesetze:
Omnibus-Gesetzgebungen, die mehrere Regelungen in einem Verfahren bündeln, gefährden Transparenz und demokratische Kontrolle. Jede Norm muss weiterhin einzeln und öffentlich nachvollziehbar beraten und beschlossen werden. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf transparente Entscheidungsprozesse.
3. Stärkung der europäischen Demokratie:
Das Europäische Parlament muss weiter gestärkt werden, insbesondere durch ein Initiativrecht für Gesetzesvorschläge und eigene Steuereinnahmen.
4. Verbindliche Rechtsstaatlichkeitsmechanismen:
- Der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus muss konsequent angewendet werden. Finanzielle Mittel aus dem EU-Haushalt dürfen nur an Mitgliedstaaten fließen, die die Grundprinzipien der EU achten.
- Härtere Sanktionen für den Fall von dauerhafter Nichteinhaltung dieser Prinzipien dürfen kein Tabu sein.
5. Solidarität in der Migrationspolitik:
- Eine gemeinsame europäische Migrationspolitik muss auf Solidarität, fairer Verteilung und menschenwürdiger Behandlung basieren. Pushbacks und menschenrechtswidrige Praktiken sind inakzeptabel.
- Eine Externalisierung der Asylpolitik in Drittstaaten ist bereits in Ländern wie Großbritannien und Italien gescheitert. Vorschläge dieser Art sind keine Grundlage für eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema.
4. Verantwortlichkeit der SPD und der europäischen Sozialdemokratie
Die SPD International bekennt sich zu diesen roten Linien und wird die SPD-Fraktion im Bundestag und Europäischen Parlament sowie den Parteivorstand in die Verantwortung nehmen, um deren Einhaltung sicherzustellen. Die sozialdemokratische Bewegung muss auf europäischer Ebene als Garant für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe auftreten.
Dabei setzen wir auf eine enge Zusammenarbeit mit unseren europäischen Schwesterparteien in der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE/PES), um diese Prinzipien auch in der praktischen Politik durchzusetzen.
Auch wenn die Vereinigten Staaten von Europa einen langfristigen Idealzustand beschreiben,
dürfen bereits heute die Grundprinzipien der europäischen Integration nicht infrage gestellt
werden.
Personenfreizügigkeit, Euro und demokratische Kontrolle des Budgets sind ebenso unverhandelbar wie der Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Rechtsstaatlichkeit.
Die SPD International wird sich dafür einsetzen, dass diese roten Linien in der Europapolitik konsequent verteidigt werden – im Interesse eines zukunftsfähigen, solidarischen und demokratischen Europas.